Verständigungen über Verselbstständigungen

work in progress | digitale splitter

Alle sprechen über Digitalisierung. Wir auch. Aber sprechen wir eigentlich über dieselbe Digitalisierung? Was verbirgt sich genau hinter der Rede vom digitalen Wandel, der nicht erst seit der Corona-Krise zu einem zentralen Schlagwort der Debatten um die Veränderung unserer Lebens- und Arbeitswelten geworden ist? Und wie lässt sich ein solches Phänomen in der Praxis systemisch „erfassen“ und empirisch erforschen? Das DFG-Schwerpunktprogramm 2267 zur „Digitalisierung der Arbeitswelten“ geht diesen Fragen nach.

Ausgehend von der Beobachtung, dass sich die Digitalisierung der Arbeitswelten als eine „systemische Transformation“ vollzieht, sollen die gesellschaftlichen Bedingungen und Auswirkungen der gegenwärtigen Digitalisierung ebenso zur Sprache kommen wie die historischen Dynamiken ihrer ungleichzeitigen, wechselwirkenden und widersprüchlichen Entwicklung.

In einer ersten Förderphase haben ab Oktober 2020 inzwischen 15 Forschungsvorhaben und zahlreiche assoziierte Projekte damit begonnen, Phänomene der Digitalisierung zu untersuchen, um darüber in den nächsten Jahren ein gesellschaftsanalytisch-historisches Verständnis dieses komplexen, vielgestaltigen Prozesses zu erarbeiten (eine Beschreibung aller Projekte findet sich hier).

Empirisch reichen die Gegenstände der Untersuchung von Phänomenen, die aktuell unter dem Schlagwort „New Work“ und einer neuen „Plattformökonomie“ verhandelt werden, bis hin zum Wandel klassischer Erwerbsmodelle und Arbeitsverhältnisse, und dabei vom boomenden Dienstleistungssektor bis zur Entwicklung industrieller Arbeitswelten. Überall verändert die Digitalisierung hier inzwischen Arbeit und deren Organisation. Sie begegnet uns in der Anwendung von Big Data, Künstlicher Intelligenz und Machine-Learning, in Form von Robotik und 3D-Druck oder auch in der Vernetzung von realen und virtuellen Welten im „Internet der Dinge“ oder durch am/im Körper getragenen Wearable Devices.

Einsichten aus der Forschungspraxis

An dieser Stelle berichten wir daher in den nächsten Monaten in unregelmäßiger Folge über Neuigkeiten aus der Arbeit des Schwerpunktprogramms, über aktuelle Forschungen und bevorstehende Termine. Ganz gleich ob Werkstattberichte einzelner Vorhaben, Interviews, Dialoge und Gespräche über ausgewählte Themen oder Rückblicke auf die Veranstaltungen des SPP – die hier präsentierten Splitter aus der digitalen Forschungspraxis sind stets ganz bewusst als „work in progress“ zu lesen.

Dieser Blog versteht sich dabei, wie das Schwerpunktprogramm, als ein Forum des Austauschs über disziplinäre Grenzen hinweg. Verbunden werden zuvorderst sozial-, wirtschafts- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven auf die Neukonfigurationen von Arbeit und Technik, auf die vielschichtigen Dynamiken des Wandels und veränderten Formen und Orte der Wertschöpfung im Zeichen der Digitalisierung. So diskutieren die Forscher:innen des Verbundes die unterschiedlichen Begriffe, Theorien und Heuristiken ihrer Beschreibung der Digitalisierung und stellen in loser Folge empirische Ergebnisse und Einsichten aus ihrer Arbeitspraxis vor. Den Auftakt bildet ein Bericht über die zurückliegende Klausurtagung.

Verständigungen über Verselbstständigungen des Digitalen: die Klausurtagung 2021

Nach dem offiziellen Kick-off des Schwerpunktprogramms zu Beginn letzten Jahres, bot das Format der Klausurtagung im Oktober 2021 den Forscher:innen die Möglichkeit, sich neben den Clustertreffen nun erstmals auch wieder im (digitalen) Plenum zu begegnen und in einen inhaltlich vertieften Austausch zu treten. Das Programm regte dabei zu fruchtbaren Diskussionen an: Thematischer Aufhänger der ersten Tagung war die Bewegungsheuristik der Verselbständigung von Digitalisierungsprozessen. Hier kreiste die Diskussion um die Fragen, was Verselbständigung aus der Perspektive verschiedener Disziplinen bedeutete, was Kennzeichen einer Verselbständigung sein könnten, wer (oder was) eigentlich „verselbständigt“ würde und was dies zum Beispiel hinsichtlich der Diskussion um die Entmündigung oder Emanzipation von Beschäftigten im Zeichen der Digitalisierung bedeutete.

Das Programm der Tagung ergab sich, dank einer sehr offenen Herangehensweise, nicht zuletzt aus den Fragen und Antworten der am SPP teilnehmenden Cluster, Netzwerke und Projekte. Zum SPP gehören hier auch die Netzwerke junge Wissenschaftler:innen und Frauen in der Wissenschaft, welche besondere Räume für den Austausch und die Unterstützung der zugehörigen Wissenschaftler:innen schafft. Erstere Gruppe war in diesem Jahr bereits mit einer Session vertreten, in der Teilnehmende aktuelle Forschungsvorhaben diskutieren konnten. Die inhaltliche Einführung in die Tagung übernahm die Sprecherin des SPP, Sabine Pfeiffer (FAU). Eckhart Kämper von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sprach ein Grußwort.

Vor dem Hintergrund der Pandemie wurde zu Beginn der Tagung zusätzlich ein interaktives digitales Diskussionsformat über „Digitalisierungsforschung und Pandemie-Erfahrungen“ eingeplant. Abgerundet wurde der Auftakt der Klausurtagung durch die Keynote Speech von Aaron Benanav, der Thesen seines aktuellen Buchs „Automation and the Future of Work“ mit den Forscher:innen im SPP diskutierte.

In den folgenden anderthalb Tagen wurden in parallel stattfindenden Sessions insgesamt 12 Vorträge gehalten. Die Zahl der Zoom-Teilnehmer:innen lag bei rund 70 Personen. Die Themen reichten dabei vom Einsatz künstlicher Intelligenz und App-Anwendungen zur automatisierten Falldokumentation, über Problemlagen der Plattformökonomie bis zur Geschichte und Gegenwart von „Telearbeit“. Die klassischen Präsentationsformate wurden dabei durch interaktive Diskussionen und kleinere Workshops in Breakoutsessions immer wieder angereichert.

Eines wurde in der abschließenden Synthese all der unterschiedlichen Beiträge rasch klar: die interdisziplinäre Annäherung an die Digitalisierung und die sich daraus ergebenden Fragestellungen ist eine enorme Herausforderung, aber der Dialog bietet auch großes Erkenntnispotenzial: Noch bewegt sich Forschung sehr stark in den Teildisziplinen und bleibt dabei häufig (fall-)spezifisch, erklärt vor allem Teile des Ganzen. So sind wir mit einer Vielzahl interessanter Ideen und Erkenntnisse, aber auch ähnlich vielen Fragen aus der Klausurtagung gegangen – für den SPP war dies ein weiterer Anstoß zum Gespräch und verdeutlichte die Aufgabe, in den kommenden Jahren gemeinsam nach Antworten zu suchen.

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